Die neue EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR) im Überblick

Die neue EU-Produktsicherheitsverordnung (GPSR) im Überblick

Am 25.04.2023 hat der Rat den Text der neuen EU-Produktsicherheitsverordnung (General Product Safety Regulation – GPSR) angenommen. Damit steht der Novellierung des allgemeinen Produktsicherheitsrechts, die zur Ablösung der Richtlinie 2001/95/EG (sog. Allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie) und damit in weiten Teilen auch des ProdSG führen wird, nichts mehr im Weg. Die GPSR soll gewährleisten, dass auch weiterhin nur sichere nicht-harmonisierte Verbraucherprodukte in Verkehr gebracht werden. Insbesondere aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung von Produkten und der Vertriebswege hat der europäische Gesetzgeber reagieren müssen und eine Vielzahl von Änderungen des allgemeinen Produktsicherheitsrechts vorgesehen.

Die GPSR legt den Rahmen für die Sicherheit von nicht-harmonisierten Verbraucherprodukten fest und gilt in Teilen auch für den harmonisierten Bereich (vgl. etwa Artt. 19, 20, 22 GPSR und Kapitel VIII). Damit dient die GPSR der Stärkung des technischen Verbraucherschutzes. Zugleich stellen die Neuerungen der GPSR die Wirtschaftsakteure vor Herausforderungen bei der Gewährleistung der Product Compliance.

Im Einzelnen sind die folgenden Neuerungen und Besonderheiten hervorzuheben:

I. Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs: Fulfilment-Dienstleister und Anbieter von Online-Marktplätzen

Wie bereits im Marktüberwachungsrecht und ProdSG zählen Fulfilment-Dienstleisters i.S.d. Art. 3 Nr. 12 GPSR zu den Wirtschaftsakteuren gemäß Art. 3 Nr. 13 GPSR. Allerdings legt die GPSR (im Unterschied zu § 6 Abs. 6 ProdSG) keine spezifischen Pflichten des Fulfilment-Dienstleisters fest.

Neu ist die Einbeziehung von Anbietern von Online-Marktplätzen in den persönlichen Anwendungsbereich. Aufgrund der weiten Begriffsbestimmung gemäß Art. 3 Nr. 13 GPSR spricht vieles dafür, auch sie zum Kreis der Wirtschaftsakteure zu rechnen, da sie Pflichten gemäß Art. 22 GPSR treffen.

II. Neue Beurteilungskriterien für die Sicherheit von Produkten

Der EU-Gesetzgeber hat neue Kriterien für die Beurteilung der Sicherheit von Produkten verankert. Dabei wurde erkennbar ein besonderes Augenmerk auf Elemente bei smarten Produkten gelegt, die bislang in Harmonisierungsrechtsvorschriften keinen Eingang gefunden haben und daher ebenso im harmonisierten Bereich Geltung entfalten werden. Der umfangreiche Katalog in Art. 6 GPSR umfasst im Wesentlichen folgende Beurteilungskriterien:

  • Eigenschaften des Produkts (Gestaltung, Konstruktion, Technische Merkmale, Instruktionen, Verpackung), Art. 6 Abs. 1 lit. a) GPSR
  • Wechselwirkung mit anderen Produkten, Art. 6 Abs. 1 lit. b), c) GPSR
  • Kennzeichnung des Produkts, Art. 6 lit. d) GPSR
  • verbraucherspezifische Aspekte (z.B. betroffene Verbrauchergruppen, geschlechtsspezifische Unterschiede auf Gesundheit und Sicherheit), Art. 6 Abs. 1 lit. e) GPSR
  • Erscheinungsbild des Produkts, wenn dieses dazu geeignet ist, den Verbraucher dazu zu verleiten, das Produkt in einer anderen Weise als derjenigen zu verwenden, für die es bestimmt war (Art. 6 Abs. 1 lit. f) GPSR)
  • Cybersicherheitsmerkmale (Art. 6 Abs. 1 lit. g) GPSR)
  • sich entwickelnde, lernende und prädikative Funktionen des Produkts (Art. 6 Abs. 1 lit. h) GPSR)

III. Herstellerpflicht zur Durchführung einer internen Risikoanalyse

Hersteller trifft für ausnahmslos jedes Produkt die Pflicht, eine interne Risikoanalyse durchzuführen und technische Unterlagen zu erstellen, die mindestens eine allgemeine Beschreibung des Produkts und seiner für die Sicherheitsbewertung relevanten wesentlichen Eigenschaften enthalten (Art. 9 Abs. 2 Uabs. 1 GPSR). Eine Bagatellklausel, die minderkomplexe Trivialprodukte ausnimmt, gibt es nicht. In Abhängigkeit von den Produktrisiken kann sich das Pflichtenprogramm des Herstellers vielmehr verdichten (Art. 9 Abs. 2 Uabs. 2 GPSR). Der Hersteller hat die technischen Unterlagen für zehn Jahre aufzubewahren (Art. 9 Abs. 3 GPSR).

IV. Wesentliche Produktveränderung

In Anlehnung an den Blue Guide gibt Art. 13 Abs. 3 GPSR dem Rechtsanwender Kriterien zur Feststellung einer wesentlichen Produktveränderung an die Hand. Danach gilt eine physische oder digitale Änderung eines Produkts als wesentlich, wenn sie sich auf die Sicherheit des Produkts auswirkt und

  • das Produkt in einer Weise verändert, die in der ursprünglichen Risikobewertung des Produkts nicht vorgesehen war;
  • sich aufgrund der Änderung die Art der Gefahr geändert hat, eine neue Gefahr entstanden ist oder sich das Risikoniveau erhöht hat; und
  • die Änderungen nicht von den Verbrauchern selbst oder in ihrem Auftrag für ihren eigenen Bedarf vorgenommen wurden.

Diejenige Person, die das Produkt wesentlich verändert, gilt als Hersteller und tritt in die Herstellerpflichten ein (Art. 13 Abs. 2 GPSR). Wenn auch nicht explizit erwähnt, setzt die Übernahme der Herstellerrolle denklogisch das erneute Inverkehrbringen des Produkts voraus.

V. Koppelung der Verkehrsfähigkeit aller Verbraucherprodukte an die Existenz eines EU-Wirtschaftsakteurs

Künftig ist die Verkehrsfähigkeit auch von nicht-harmonisierten Verbraucherprodukten an die Existenz eines sog. EU-Wirtschaftsakteurs gekoppelt (Art. 16 Abs. 1 GPSR). Für harmonisierte Produkte wurde eine entsprechende Regelung bereits mit der Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2019/1020 (sog. EU-Marktüberwachungsverordnung) eingeführt. Den EU-Wirtschaftsakteur, der bei Produkten aus EU-Drittländern regelmäßig der Einführer ist, treffen Prüf- und Kennzeichnungspflichten (vgl. Art. 16 Abs. 2, 3 GPSR).

VI. Rückverfolgbarkeitsanforderungen

Mit der GPSR wird der Kommission die Möglichkeit eröffnet, ein Rückverfolgbarkeitssystem einzurichten. Dieses soll die Rückverfolgung von Produkten erleichtern, die ein ernstes Risiko für die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern darstellen (Art. 18 Abs. 1 GPSR). Zentraler Aspekt wird die Erfassung und Speicherung von Daten auf elektronischem Wege sein, anhand derer das Produkt, seine Komponenten oder die an seiner Lieferkette beteiligten Wirtschaftsakteure identifiziert werden können (Art. 18 Abs. 2 GPSR). Der Kommission wird die Befugnis zur näheren Ausgestaltung des Systems, insbesondere zur Festlegung der erfassten Produkte, übertragen (Art. 18 Abs. 3 GPSR).

VII. Meldepflichten bei Unfällen

Art. 20 GPSR statuiert Pflichten der Wirtschaftsakteure bei Unfällen, die im Zusammenhang mit der Sicherheit von Produkten auftreten. Vorrangig obliegt es dem Hersteller, einen produktbedingten Unfall, der zum Tod oder zu Gesundheitsnachteilen führt, unverzüglich (ab Kenntnis) den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates, in dem sich der Unfall ereignet hat, zu melden. Die Meldung erfolgt über das sog. Safety-Business-Gateway (Art. 20 Abs. 1 GPSR). Einführer und Händler müssen gemäß Art. 20 Abs. 3 GPSR entsprechende Vorkommnisse dem Hersteller melden, der anschließend seiner Pflicht aus Art. 20 Abs. 1 GPSR nachkommen muss. Existiert kein in der Union niedergelassener Hersteller, hat der EU-Wirtschaftsakteur für die Meldung zu sorgen (Art. 20 Abs. 4 GPSR).

VIII. Besondere Anforderungen und Pflichten beim Fernabsatz

Bei der Bereitstellung von Produkten über Fernabsatzkanäle legt die GPSR besondere Regelungen fest. So gelten Verbraucherprodukte schon dann als auf dem Markt bereitgestellt, wenn sie online oder über andere Fernabsatzwege Verbrauchern in der Union zum Verkauf angeboten werden (Art. 4 GPSR). Damit wird ein Gleichlauf zur Bereitstellungsfiktion im Marktüberwachungsrecht gemäß Art. 6 VO (EU) 2019/1020 geschaffen.

Zudem richtet die GPSR an die Wirtschaftsakteure besondere Informationspflichten beim Fernabsatz gemäß Art. 19 GPSR. Demnach gilt es, folgende Angaben schon im Zeitpunkt des Angebots zu machen:

  • Herstellerkennzeichnung: Angabe des Namens, des eingetragenen Handelsnamens oder der eingetragenen Handelsmarke sowie die Postanschrift und E-Mail-Adresse
  • Kennzeichnung des sog. EU-Wirtschaftsakteurs (sofern der Hersteller außerhalb der EU ansässig ist): Angabe des Namens sowie die Postanschrift und E-Mail-Adresse
  • Identifikationskennzeichnung: Produktabbildung und -art sowie sonstige Produktidentifikatoren
  • etwaige Warnhinweise oder Sicherheitsinformationen

Auch Anbieter von Online-Marktplätzen sind neuerdings Pflichtenadressaten. Sie müssen etwa unabhängig von anderen Pflichten der Wirtschaftsakteure eine zentrale Kontaktstelle benennen, über die die Marktüberwachungsbehörden mit ihnen kommunizieren können. Die Anbieter müssen sich außerdem beim Safety-Gate-Portal registrieren und dort die Angaben zu dieser Anlaufstelle hinterlegen (Art. 22 Abs. 1 GPSR). Schließlich haben sie die Pflicht, eine vergleichbare Kontaktstelle anzubieten, über die Verbraucher Fragen zur Produktsicherheit direkt und schnell mit dem Anbieter des Online-Marktplatzes kommunizieren können (Art. 22 Abs. 2 GPSR). Überdies treffen sie organisatorische Verpflichtungen (Art. 22 Abs. 3, 10 GPSR) sowie umfangreiche Melde- und Mitwirkungspflichten gegenüber den Marktüberwachungsbehörden (Art. 22 Abs. 4 ff. GPSR), damit sie einen Beitrag zur Gewährleistung der Produktsicherheit leisten.

IX. Konkrete Vorgaben für die Verbraucherunterrichtung

Die Wirtschaftsakteure und Anbieter von Online-Marktplätzen müssen sicherstellen, dass alle betroffenen Verbraucher, die sie ermitteln können, direkt und unverzüglich über Produktrückrufe und andere sicherheitsrelevante Themen informiert werden. Sofern sie personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 Verordnung (EU) 2016/679 (sog. Datenschutz-Grundverordnung) erheben, müssen diese Informationen für Rückrufe und Sicherheitswarnungen genutzt werden (Art. 35 Abs. 1 GPSR). Überdies sind Wirtschaftsakteure gem. Art. 35 Abs. 2 GPSR verpflichtet, ihren Kunden die Möglichkeit anzubieten, gesonderte Kontaktdaten ausschließlich zu Sicherheitszwecken zu hinterlegen. Für bestimmte Produkte können daneben weiterreichende Registrierungsmöglichkeiten verpflichtend vorgeschrieben werden (Art. 35 Abs. 3 GPSR).

Anknüpfend an Art. 35 GPSR stellt Art. 36 GPSR detaillierte Anforderungen an die Gestaltung einer Rückrufanzeige auf, die im Falle eines Rückrufs in schriftlicher Form an Verbraucher zu richten ist. Die Rückrufanzeige muss für den Verbraucher in einer leicht verständlichen Sprache formuliert sein und bestimmte Anforderungen an Format und Inhalt genügen (Art. 36 Abs. 2 GPSR). Die Kommission wird eine Vorlage zur Verfügung stellen, die den Wirtschaftsakteuren die Handhabung der Vorschriften erleichtert (Art. 36 Abs. 3 GPSR).

X. Pflicht des Wirtschaftsakteurs zur Abhilfe im Falle des Rückrufs

Obwohl von der Wirtschaft heftig kritisiert, wurde die Regelung aus Art. 37 GPSR beibehalten, welche die Wirtschaftsakteure zu Abhilfemaßnahmen gegenüber Verbrauchern im Falle eines Produktsicherheitsrückrufs verpflichtet. Unbeschadet zivilrechtlicher Ansprüche muss der für den Rückruf verantwortliche Wirtschaftsakteur den betroffenen Verbrauchern proaktiv zwei der folgenden Abhilfemaßnahmen kostenlos anbieten:

  • Reparatur des zurückgerufenen Produkts,
  • Ersatz des zurückgerufenen Produkts durch ein sicheres Produkt desselben Typs mit mindestens demselben Wert und derselben Qualität oder
  • angemessene Erstattung des Wertes des zurückgerufenen Produkts, sofern der Erstattungsbetrag mindestens dem vom Verbraucher gezahlten Preis entspricht.

Diese Regelung, die als regulatorische Pflicht der Wirtschaftsakteure ausgestaltet ist, unterminiert das gewährleistungsrechtliche Regime und schafft in gewisser Form ein endloses produktsicherheitsrechtliches Gewährleistungsrecht im Falle des Rückrufs. Dies dürfte sich auf die Preise von Verbraucherprodukten und die Ausgestaltung von Produkthaftpflicht- und Rückrufversicherungen auswirken.

XI. Ausblick

Am zwanzigsten Tag nach der bevorstehenden Veröffentlichung der GPSR im EU-Amtsblatt tritt sie in Kraft. Nach einem Übergangszeitraum von 18 Monaten, währenddessen weiterhin nicht-harmonisierte Verbraucherprodukte nach der Richtlinie 2001/95/EG bzw. dem ProdSG auf dem Markt bereitgestellt werden dürfen (vgl. Art. 51 GPSR), gilt sie sodann unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Insofern ist mit einem Geltungsbeginn Ende 2024 zurechnen. Die GPSR löst einen Anpassungsbedarf des ProdSG aus, dessen Anwendungsbereich sich künftig auf nicht-harmonisierte B2B-Produkte konzentrieren wird.

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