Produktrechtliche Anforderungen an Smart Textiles

Produktrechtliche Anforderungen an Smart Textiles – Herstellerpflichten und Haftungsrisiken

Für den Produktbereich der Smart Textiles oder Smart Clothes existiert bislang kein spezifischer Rechtsrahmen. Dies sorgt bei den Herstellern für eine gewisse Unsicherheit und wirkt entwicklungshemmend. Bei genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die bestehende Rechtslage eine rechtsichere Entwicklung, Herstellung und einen anschließenden Vertrieb von Textilien 4.0 ermöglicht.

Was sind Smart Textiles?

Unter Smart Textiles oder Smart Clothes versteht man Kleidung, die etwa elektronische und sensorische Komponenten aufweisen und dadurch zusätzliche Funktionen wahrnehmen können. Vernetzte Kleidung spielt insbesondere in den Bereichen Sport, Gesundheit, Pflege und Arbeitsschutz eine zunehmende Rolle und erweitert damit den Internet of Things (loT)-Markt.

Welche spezifischen Produktanforderungen kommen in Betracht?

Diese richten sich in erster Linie nach den Eigenschaften, Features, Funktionen, technischen Bestandteilen, dem Produktdesign und der Zweckbestimmung der Textilien bzw. Kleidung. Regulatorisch unterfallen Smart Textiles in der Regel dem EU-harmonisierten Produktbereich, da sie oftmals von CE-Rechtsakten erfasst werden. Daneben bleibt das klassische Textilienrecht anwendbar.

1. Funkanlagenrecht

Findet eine Kommunikation der in der Kleidung eingebundenen Hardwarekomponenten mittels Funkstandards statt, kann die smarte Textile eine sog. Funkanlage darstellen, die damit dem Funkanlagengesetz (FuAG) unterfällt. § 4 FuAG stellt grundlegende Anforderungen an das Produktdesign. Insbesondere muss die Funkanlage sicher und elektromagnetische verträglich sein. Im Übrigen treffen den Hersteller Kennzeichnungs- und Informationspflichten.

2. PSA-Recht

Dienen Smart Textiles dem Schutz von Personen vor Risiken für ihre Gesundheit und Sicherheit, können sie eine sog. persönliche Schutzausrüstung (PSA) verkörpern. Für diese gilt die Verordnung (EU) 2016/425, die grundlegende Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen sowie dezidierte Herstellerpflichten normiert.

3. Medizinprodukterecht

Eine besonders attraktive Anwendung der Smart Textiles besteht in integrierten Sensoren, die verschiedene Vitalparameter des Nutzers messen. Die gewonnenen Daten können dabei in Echtzeit im Bereich der personalisierten Medizin genutzt werden. Das dann einschlägige Medizinprodukterecht in Gestalt der Verordnung (EU) 2017/745 stellt aufgrund der Anwendung auf vulnerable Personengruppen die höchsten Anforderungen an die Hersteller. Da sich die Anwendbarkeit der Verordnung aus der Zweckbestimmung des Produkts ergibt, können die Hersteller diese allerdings über die Produktbezeichnung, Gebrauchsanweisung und Werbematerialien steuern.

Nach der Verordnung (EU) 2017/745 muss vor der Inverkehrgabe eines Medizinprodukts ein Konformitätsverfahren durchgeführt werden; der konkrete Umfang des Verfahrens hängt von der Klassifizierung des Medizinproduktes ab. Unter Umständen ist eine benannte Stelle hinzuzuziehen. Ein Bestandteil dieses Verfahrens bildet jedenfalls eine sog. klinische Bewertung, zu der ggfs. klinische Daten generiert werden müssen. Des Weiteren ist die Einrichtung und Aufrechterhaltung spezifischer Qualitäts- und Risikomanagementsysteme erforderlich.

4. Allgemeines Produktsicherheitsrecht

Sofern Smart Textiles keinen der zuvor genannten Regelungen unterfallen, richten sich die Sicherheitsanforderungen nach § 3 Abs. 2 S.1 ProdSG. Danach dürfen sie bei bestimmungsgemäßer und vorhersehbarer Verwendung nicht gefährlich sein. Wenn Smart Textiles an Verbraucher gerichtet sind, müssen daneben die Voraussetzungen aus § 6 ProdSG erfüllt sein. Hieraus folgen umfassende Kennzeichnungs-, Informations-, Aufklärungs-, Organisations-, Produktbeobachtungs- und Meldepflichten für den Hersteller. Geringere Pflichten treffen hingegen die Händler.

Bestehen zusätzliche rechtliche Anforderungen?

Als weitere Vorgaben kommen je nach Ausgestaltung umweltbezogene Anforderungen aus dem Batteriegesetz, dem Elektrogesetz und der Elektrostoffverordnung in Betracht. Überdies stellen sich rechtliche Fragen im Zusammenhang des Datenschutzes und der IT-Security.

Welche Haftungsrisiken bestehen?

Die mit der Vielfalt an Anwendungen korrespondierende komplexe Rechtslage birgt erhebliche Haftungsrisiken. Nicht den Produktvorgaben entsprechende Smart Textiles erweisen sich nämlich regelmäßig als nicht verkehrsfähig. Den Marktüberwachungsbehörden steht dann ein umfassendes ordnungsrechtliches Instrumentarium zur Verfügung. So können unter anderem der Vertrieb verboten, ein Rückruf angeordnet oder eine Warnung ausgesprochen werden.

Daneben drohen Schadensersatzpflichten nach dem ProdHaftG oder gemäß § 823 Abs. 1 BGB, wenn fehlerhafte Smart Textiles Personenschäden auslösen. Überdies können bereits Verstöße gegen regulatorische Pflichten und Produktanforderungen zu Bußgeldern und Strafen führen. Adressat von Sanktionen kann auch die Geschäftsleitung selbst sein. Vor diesem Hintergrund gilt es, ein gewichtiges Augenmerk auf die Product Compliance bei der Herstellung und den Vertrieb von Smart Textiles zu legen.

Zur Vertiefung: Handorn/Wiebe, Technische Textilien 4/2021, 128 f.

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