Medizintechnik
Das ändert sich 2022: Life Sciences

Das ändert sich 2022: Life Sciences

Das Jahr 2022 bringt zahlreiche gesetzliche Veränderungen für betroffene Wirtschaftsakteure in allen Rechtsbereichen mit sich, auf die wir uns als Produktkanzlei spezialisiert haben. Dieser Beitrag befasst sich mit wesentlichen Neuregelungen im Medizinprodukte- und Arzneimittelrecht.

Der 26.05.2022 bringt im Medizinprodukterecht mit der Verordnung (EU) 2017/746 einen neuen europäischen Rechtsrahmen für In-vitro-Diagnostika (A.). Bereits ab 28.01.2022 gilt die die neue europäische Tierarzneimittel-Verordnung (EU) 2019/6; zugleich tritt in Deutschland das neue Tierarzneimittelgesetz als eigenes Stammgesetz für Tierarzneimittel, die bislang im Arzneimittelgesetz (AMG) geregelt waren, in Kraft (B.). Für Humanarzneimittel gilt ab 31.01.2022 mit erheblicher Verspätung die Verordnung (EU) Nr. 536/2014 für klinische Prüfungen, ergänzt durch die Neufassungen der §§ 40 ff. AMG (C.).

A. Verordnung (EU) 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR)

Während der Medizintechnik-Sektor noch mit zahlreichen Umsetzungsfragen der seit 26.05.2021 geltenden EU-Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) beschäftigt ist, gilt ab 26.05.2022 die Verordnung (EU) 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) als zweite große Rahmenverordnung zur Neuordnung des EU-Medizinprodukterechts. Nachdem die IVDR im Übergangszeitraum seit ihrem Inkrafttreten bereits durch mehrere Corrigenda geändert wurde, sollten Wirtschafsakteure die jeweils aktuelle konsolidierte Fassung zur Hand nehmen.

Zugleich tritt in Deutschland die nationale Rechtslage des Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes (MPDG) auch für IVD in Kraft. Die dazu notwendigen Änderungen des MPDG sind bereits mit Art. 3 des Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetzes berücksichtigt.

In-vitro-Diagnostika (IVD) sind, kurz gesagt, besondere Medizinprodukte. Während die in der MDR regulierten, „sonstigen“ Medizinprodukte der Heilung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen, Krankheiten oder Behinderungen dienen und regelmäßig mit dem Körper vulnerabler Personen in Kontakt kommen, sind IVD Produkte zur medizinischen Diagnostik an zuvor aus dem menschlichen Körper erlangten Proben. Die medizinische Zweckbestimmung, quasi die gemeinsame DNA von IVD und anderen Medizinprodukten, bringt es mit sich, dass mehr oder weniger 80 % der Anforderungen der IVDR mit der MDR übereinstimmen. Dies gibt Wirtschaftsakteuren im IVD-Bereich in wichtigen Fragen die Chance, aus den noch frischen Praxiserfahrungen der Branche bei der Implementierung der MDR zu lernen. Freilich regelt die IVDR auch eine Reihe von produktbedingten Besonderheiten, die auf verschärfte Vorgaben gegenüber der bisherigen Regulierung der Richtlinie 98/79/EG hinauslaufen.

Die IVDR bringt beispielsweise folgende Änderungen:

  • Das Konzept der Wirtschaftsakteure (Hersteller, Bevollmächtigte, Importeure und Händler) gilt für IVD. Es regelt die eindeutige Rollenverteilung innerhalb der Lieferkette und bringt für alle Wirtschafsakteure deutlich feingliedriger regulierte Pflichten als bisher. Dies gilt etwa auch für alle Importeure und Händler von Point-of-Care (POC) Tests oder von Tests zur Eigenanwendung – eine Produktgruppe, die mit den diversen SARS-CoV-2 Tests in jüngster Zeit eine besondere Prominenz erlangt hat, deren Anwendungsfelder aber auch sonst deutlich zunehmen dürften.
  • Die sog. Eigenherstellung von IVD („Lab Developed Tests“), die in Laboren von Gesundheitseinrichtungen eine nicht unerhebliche Rolle spielt, wird merklich eingeschränkt.
  • Die Neubenennung und Überwachung der Benannten Stellen mit verschärften Anforderungen; gerade dieser Punkt wird für die IVD-Industrie zum strukturellen Problem werden.
  • Denn zugleich – eine der wichtigsten Änderungen – wird die Klassifizierung für IVD grundlegend neu geregelt; die künftige Einteilung in ein Vier-Klassen-System von Klasse A (niedrigste Risikoklasse) bis D (höchste Risikoklasse) bringt es vor allem mit sich, dass im Rahmen der Konformitätsbewertung für erheblich mehr IVD als bisher eine Benannte Stelle, die bislang nicht mit ausreichender Kapazität zur Verfügung stehen, eingeschaltet werden muss. Die reine „Selbstzertifizierung“ bleibt allein noch für Klasse A-Produkte (dies sind vielleicht noch 10 bis 20 Prozent der Produkte im Markt).
  • Das System der einmaligen Produktidentifikation (Unique Device Identification, UDI), zusammen mit einer verbesserten Rückverfolgbarkeit von Produkten im Markt, wird auch für IVD verbindlich.
  • Die Konformitätsbewertungsverfahren für IVD werden geändert. Unter anderem werden europäische Referenzlabore in die Bewertung von IVD der höchsten Risikoklasse eingebunden.
  • Die Leistungsbewertung und Leistungsstudien für IVD werden in der IVDR sowie für Leistungsstudien in weiten Teilen ergänzend im MPDG neu geregelt; klinischen Daten kommt künftig deutlich mehr Bedeutung zu.
  • Die europäische Datenbank für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika (Eudamed) wird deutlich ausgebaut – freilich ist die für Mai 2022 geplante volle Funktionsfähigkeit von Eudamed wohl nicht vor dem 3. Quartal 2023 zu erwarten. Die im Verantwortungsbereich der EU-Kommission verorteten Verzögerungen werden also im IVD-Bereich zusätzlich zu ähnlich kleinteiligen Zweifelsfragen bei der Umsetzung von Akteurspflichten wie bereits im Rahmen der MDR führen.

Vor allem die eklatant fehlenden Kapazitäten an Benannten Stellen haben den europäischen Gesetzgeber dazu veranlasst, mit der Verordnung (EU) 2022/112 neue Übergangsfristen für die IVDR vorzusehen. Im Kern sollen die neuen, differenzierten Übergangsfristen Herstellern von bestimmten Bestandsprodukten, die künftig eine Benannte Stelle benötigen, mehr Zeit geben, um die Konformitätsbewertungsverfahren unter der IVDR durchzuführen. Zudem gibt es längere Übergangsfristen für bestimmte Anforderungen an IVD aus Eigenherstellung (LDT). Allerdings ist bei den neuen Übergangsfristen für Hersteller in jedem Fall Vorsicht in der Hinsicht geboten, wie sich die neuen Regelungen für Legacy Devices auf das konkrete Produkt auswirken. Und vor allem: Die IVDR wird durch die Änderungsverordnung nicht verschoben, es bleibt beim Geltungsbeginn am 26.05.2022.

B. Tierarzneimittel-Verordnung (EU) 2019/6 und neues Tierarzneimittelgesetz

Bereits ab 28.01.2022 gilt die EU-Tierarzneimittel-Verordnung. Damit gelten künftig auch für Tierarzneimittel in den Mitgliedstaaten unmittelbar harmonisierte Vorschriften. Neben der Vereinfachung des Verkehrs mit Tierarzneimitteln innerhalb der Union und Anreizen, die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln zu erhöhen, ist ein wichtiges Ziel der Verordnung die Bekämpfung zunehmender Antibiotikaresistenzen in der Tierhaltung. Mehr Transparenz soll die Einrichtung von EU-Datenbanken schaffen. Im Bereich der Zulassung werden die bedeutsamen nationalen Zulassungsverfahren belassen.

Auf nationaler Ebene wird zugleich das Tierarzneimittelrecht aus dem Arzneimittelgesetz herausgelöst und in einem eigenen Stammgesetz, dem Tierarzneimittelgesetz, ergänzend zum EU-Verordnungsrecht umfangreich geregelt werden. Neben dem nationalen Zulassungsrecht betrifft das etwa den Handel, der in weiten Teilen auch unter der neuen EU-Verordnung nationale Domäne bleibt.

C. Verordnung (EU) Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln

Am 31.01.2022 ist schlussendlich Geltungsbeginn der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln. Das neue klinische Prüfungsrecht hatte sich jahrelang verzögert, nachdem die volle Funktionsfähigkeit des EU-Portals zur zentralen Datenübermittlung (Art. 80) und die EU-Datenbank (Art. 81) für klinische Prüfungen zunächst nicht festgestellt werden konnten. Die EU-Kommission hatte erst mit Beschluss (EU) 2021/1240 die Übereinstimmung mit den Anforderungen gemäß Art. 82 Abs. 2 der VO (EU) Nr. 536/2014 festgestellt. Der Geltungsbeginn folgt nunmehr sechs Monate nach Veröffentlichung der Mitteilung im EU-Amtsblatt (vgl. Art. 99 Unterabs. 2 der VO (EU) Nr. 536/2014).

Zur Verordnung (EU) Nr. 536/2014 sind die entsprechend überarbeiteten EudraLex (Vol. 10) Clinical Trials Guidelines verfügbar.

Ergänzend treten auf nationaler Ebene am 28.01.2022 die neugefassten Bestimmungen zur klinischen Prüfung von Humanarzneimitteln gemäß §§ 40 ff. AMG n.F. in Kraft. Allerdings bleiben die bisherigen Regelungen des AMG nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in § 148 AMG n.F. innerhalb der dortigen Übergangsfristen noch über Jahre weiter anwendbar.

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17. Januar 2022 Dr. Boris Handorn