CLP: Einführung neuer Gefahrenklassen

CLP: Einführung neuer Gefahrenklassen – Rechtliche Bedenken

Die Europäische Kommission hat durch die Delegierte Verordnung (EU) 2023/707 vom 19.12.2022 neue Gefahrenklassen in die CLP-Verordnung eingeführt.

Damit sind die neuen Gefahrenklassen im Ergebnis bereits vor der geplanten Revision der CLP-Verordnung durch den Änderungsvorschlag COM (2022) 748 final wirksam und zu beachten. Im Detail wurden neue Gefahrenklassen für endokrine Disruptoren sowie für persistente, bioakkumulierende und toxische Stoffe (PBT) bzw. sehr peristente und sehr bioakkumulierende Stoffe (vPvB) und persistente, mobile und toxische Stoffe (PMT) bzw. sehr persistente und sehr mobile Stoffe (vPvM) eingeführt (Text HIER abrufbar).

Die Einführung der neuen Gefahrenklassen im Wege einer Delegierten Verordnung überrascht. Zwar sind entsprechende Rechtssetzungsbefugnisse der Kommission nicht unüblich und auch in Art. 53, 53a CLP verankert. Die Befugnisse der Kommission sind allerdings begrenzt. Die Einführung neuer Gefahrenklassen lässt sich hierauf nicht stützen.

A. Missachtung des Demokratieprinzips

Dem Europäischen Parlament kommt zusammen mit dem Rat die zentrale Funktion der Gesetzgebungsfunktion zu, wohingegen die Kommission nach Maßgabe der Verträge Koordinierungs-, Exekutiv- und Verwaltungsfunktionen ausübt. Die Kommission wirkt zwar am Verfahren der Rechtssetzung innerhalb der Union durch ihr Initiativrecht entscheidend mit, hat aber selbst keine originäre Befugnis zur Rechtssetzung in einem Gesetzgebungsverfahren nach Art. 289 Abs. 3 AEUV. Der delegierte Rechtsakt im Sinne von Art. 290 AEUV ist dagegen ein Rechtsakt, mit dem der Kommission lediglich ermöglicht wird, nicht wesentliche Vorschriften eines Basisrechtsakts zu ergänzen oder in diesem Rahmen abzuändern. Die grundlegenden Entscheidungen sind jedoch stets dem Basisrechtsakt vorbehalten und können nicht der Kommission im Wege einer Delegation übertragen werden, ohne gegen das Demokratieprinzip zu verstoßen.

B. Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht

Durch Art. 53, 53a CLP wird die Kommission lediglich zur Anpassung u.a. des Anhangs I zur CLP an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt ermächtigt, wobei Änderungen nur unwesentliche Bestimmungen der Verordnung erfassen dürfen. Bei der Einführung neuer Gefahrenklassen handelt es sich aber gerade nicht um eine bloße Anpassung an den technischen Fortschritt oder eine unwesentliche Änderung.  Zwar fehlt es dem Wesentlichkeitsbegriff des Art. 290 AEUV an klaren Konturen, bei der diesbezüglichen Auslegung ist jedoch der Sinn und Zweck eines delegierten Rechtsakts in den Blick zu nehmen. Ein solcher Rechtsakt der Kommission soll den Unionsgesetzgeber lediglich von Detailregelungen entlasten, kann aber jenseits der Delegation nicht etwa Sekundärrecht ergänzen oder ändern. So sind nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere solche Regelungen als wesentlich anzusehen, die den Anwendungsbereich des Basisrechtsaktes ändern oder erweitern. Dies ist aber bei der Einführung neuer Gefahrenklassen für Stoffe und Gemische mit ED-, PBT, vPvB-, PMT- und vPvM-Eigenschaften ersichtlich der Fall, da der Anwendungsbereich der CLP-Verordnung insoweit nicht nur modifiziert, sondern ausgedehnt wird. Stoffe und Gemische, die mangels entsprechender Gefahrenklassen bislang nicht als gefährlich einzustufen waren, unterliegen nun in Folge der ergänzend eingeführten Gefahrenklassen den entsprechenden Rechtspflichten. Hinzu kommt, dass die Einführung neuer Gefahrenklassen selbstverständlich auch mittelbare Auswirkungen hat, soweit etwa andere Rechtsakte generisch auf die bloße Gefährlichkeit von Stoffen oder Gemischen im Sinne eines Vorhandenseins von Gefahreneigenschaften abstellen und bislang Stoffe und Gemische mit ED-, PBT, vPvB-, PMT- und vPvM-Eigenschaften gerade nicht erfasst haben.

Aber selbst wenn man die Grenzen aus Art. 290 AEUV in Bezug auf die Einführung neuer Gefahrenklassen durch delegierten Rechtsakt außer Betracht lässt, gäbe doch jedenfalls die Befugnisnorm des Art. 53 Abs. 1 der CLP-Verordnung in ihrer derzeit geltenden Fassung der Kommission nicht das Recht zur Einführung solcher neuen Gefahrenklassen. Denn die wesentlichen Parameter der Delegation, wie Ziel, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer, sind im ermächtigenden Gesetzgebungsakt festzulegen und dürfen nicht der Rechtsetzung der Exekutive überlassen werden. Gemessen an diesen Maßstäben verstößt die Einführung neuer Gefahrenklassen auch gegen § 290 Abs 2 AEUV, da die Kommission hiermit den ihr vom Unionsgesetzgeber derzeit gesetzten Handlungsrahmen überschritten hat. Ein solcher Verstoß könnte auch nicht dadurch geheilt werden, dass im Rahmen einer zeitlich nachfolgenden Änderung der CLP die Befugnis für die Kommission ausgeweitet und dem unwirksamen Delegationsakt nachträglich Legitimität verliehen werden soll.

C. Verstoß gegen völkerrechtliche Grundsätze

Das aufgezeigte Vorgehen der Kommission widerspricht unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der EU, insbesondere und gerade auch der Kommission, auch völkerrechtlichen Grundsätzen.

In der CLP-Verordnung bekräftigt die Gemeinschaft in den Erwägungsgründen, zur weltweiten Harmonisierung der Kriterien für die Einstufung und Kennzeichnung potentiell gefährlicher Stoffe, Gemische und bestimmten spezifischen Erzeugnissen unter besonderer Berücksichtigung des GHS-Regimes der Vereinten Nationen (Globally Harmonised System of Classification and Labelling of Chemicals) beitragen zu wollen, indem die dort zur Vereinfachung des Welthandels und zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt mit großer Sorgfalt entwickelten Kriterien in das Gemeinschaftsrecht übertragen werden. Die Vorgaben des GHS sind zwar nicht als völkerrechtlicher Vertrag zu klassifizieren, müssen jedoch völkerrechtlich als sog. „soft law“ angesehen werden, also als eine rechtsunverbindliche Übereinkunft, die jedoch zur Herausbildung von verbindlichem Völkerrecht beitragen und sich vor allem im Laufe der Zeit zu einer opinio juris entwickeln kann. Von einem solchen durch das GHS entwickelten Gewohnheitsrecht muss mit Blick auf die Zeit seit ihrem Inkrafttreten sowie ihren fortlaufenden Aktualisierungen und den zahlreichen weltweit hierauf basierenden Rechtsvorschriften ausgegangen werden.  Unabhängig davon ergeben sich hieraus zentrale Anhaltspunkte zur Auslegung anderer Rechtsakte.

Der EuGH hat in diesem Sinn mehrfach entschieden, dass internationale Übereinkommen Vorrang vor sekundärem Gemeinschaftsrecht genießen, zumal wenn sie von der Gemeinschaft selbst ratifiziert wurden. Damit tritt nach gefestigter Rechtsprechung eine Selbstbindung der Gemeinschaft ein, die zur Folge hat, dass Gemeinschaftsrecht nicht gegen ratifizierte internationale Übereinkommen verstoßen darf.

Diese Rechtsprechung ist nach ihrem Sinn und Zweck auf das Zusammenspiel zwischen dem GHS, der zu dessen Umsetzung etablierten CLP-Verordnung und der hier konkret in Rede stehenden Delegierten Verordnung (EU) 2023/707 zu übertragen. Aus der Rechtsprechung des EuGH folgt unweigerlich, dass die Kommission nicht befugt ist, die CLP-Verordnung so zu überarbeiten, dass sie damit gegen die mit der Übernahme des GHS in Unionsrecht zu Tage getretene Selbstbindung bei der Harmonisierung von Gefahrenklassen auf globaler und europäischer Ebene verstößt.

Fazit 

Die Delegierte Verordnung (EU) 2023/707 verstößt gegen das Demokratieprinzip nach Art. 10 EUV, soweit die Rechtssetzungsbefugnis des Parlaments unzulässig aushöhlt wird. Zugleich verletzt der Rechtsakt auch die Vorgaben und Anforderungen gemäß Art. 290 Abs. 1 und 2 AEUV, da hierdurch gerade wesentliche Änderungen des Basisrechtsakts herbeigeführt werden. Und letztlich verletzt die Verordnung auch die völkerrechtliche Selbstbindung der Gemeinschaft zur weltweiten Harmonisierung potentiell gesundheits- und umweltschädigender Stoffe im Rahmen des GHS, indem sie neue Gefahrenklassen in das Gemeinschaftsrecht einführt, ohne zuvor eine Harmonisierung auf Ebene der Vereinten Nationen in Angriff genommen zu haben.

Auf Grund der mehrfachen Rechtsverstöße begegnet die Delegierte Verordnung (EU) 2023/707 erheblichen Bedenken. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Unternehmen oder Verbände Rechtsschutzmöglichkeiten ergreifen und die europäischen Gerichte Gelegenheit erhalten, die rechtlichen Bedenken zu bewerten. Im Interesse weiterer Rechtssicherheit bei der Gestaltung von Rechtssetzungsbefugnissen zugunsten der Kommission und den daraus resultierenden Folgen für die Industrie wäre dies jedenfalls wünschenswert.

Haben Sie zu dieser News Fragen oder wollen Sie mit dem Autor über die News diskutieren? Kontaktieren Sie gerne: Martin Ahlhaus