Hinweisgeberschutzgesetz aus produktrechtlicher Perspektive

Whistleblowing in der Product Compliance – das Hinweisgeberschutzgesetz aus produktrechtlicher Perspektive

Am 02.07.2023 ist das Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen (Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG) in Kraft getreten. Der mit dem HinSchG bezweckte Schutz von hinweisgebenden Personen wird mittelbar auch dazu führen, dass produktsicherheitsrechtliche Nichtkonformitäten vermehrt unternehmensintern an Hersteller und andere Wirtschaftsakteure herangetragen werden.

Das HinSchG dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden. Vor dem Inkrafttreten des HinSchG hatten Hinweisgeber Nachteile zu befürchten, wenn sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Gesetzesverstöße erlangt und diese sodann gemeldet oder offengelegt haben. Mit dem HinSchG soll der bislang lückenhafte und unzureichende Schutz von hinweisgebenden Personen ausgebaut und deren Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen anerkannt werden (vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz, S. 1).

Die so geförderte Aufdeckung und Ahndung von Missständen wird dazu führen, dass Herstellern und anderen Wirtschaftsakteuren vermehrt Verstöße gegen produktrechtliche Pflichten und fehlende Produktkonformitäten von den eigenen Mitarbeitern gemeldet werden. Die Kenntnis von Nichtkonformitäten kann produktsicherheits- und produkthaftungsrechtliche Handlungspflichten aktivieren. Vor diesem Hintergrund dürfen die Wirtschaftsakteure die Augen vor den gemeldeten Verstößen nicht verschließen.

Bei der Umsetzung der Pflichten des HinSchG kann an produktrechtliche Pflichten angeknüpft werden. Nicht zuletzt deshalb ist eine produktrechtliche Betrachtung der Pflichten des HinSchG geboten, um Schnittstellen zu erkennen und Synergieeffekte zu nutzen.

I. Zielsetzung des HinSchG

Ziel des HinSchG ist ausweislich von § 1 Abs. 1 HinSchG der Schutz von natürlichen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder in ihrem Vorfeld Informationen über Verstöße erlangt haben. Darüber hinaus sollen auch die Personen geschützt werden, die Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung sind (§ 1 Abs. 1 HinSchG).

Mittelbar dient das HinSchG auch der Aufdeckung, Korrektur und Ahndung von Missständen und damit von produktrechtlichen Nichtkonformitäten. So fördert das HinSchG indirekt etwa ein hohes Verbraucherschutzniveau im Sinne von Art. 1 Abs. 1 VO (EU) 2023/988 (sog. GPSR) und den Menschenrechts- und Umweltschutz im Sinne von § 3 Abs. 1 LkSG.

II. Anwendungsbereich

Aus produktrechtlicher Perspektive können – abhängig von der Größe des Unternehmens – grundsätzlich alle Wirtschaftsakteure dem persönlichen Anwendungsbereich des HinSchG unterliegen, § 12 Abs. 1 S. 1 HinSchG.

Der sachliche Anwendungsbereich umfasst die Meldung und die Offenlegung von Informationen über die in § 2 Abs. 1 HinSchG abschließend genannten Verstöße. Dazu zählen insbesondere Verstöße gegen Rechtsnormen

  • mit Vorgaben zur Produktsicherheit und -konformität,
  • mit Vorgaben zum Umweltschutz und
  • zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs, Human- und Tierarzneimittel, Medizinprodukte sowie die grenzüberschreitende Patientenversorgung.

Der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG erstreckt sich damit auf Verstöße gegen das Produktsicherheits-, das umweltbezogene Produkt-, das Chemikalien- und das Medizinprodukterecht.

Der handlungsspezifische Anwendungsbereich ist mit Blick auf die Wirtschaftsakteure eröffnet, wenn eine hinweisgebende Person eine Meldung oder Offenlegung von Informationen über Verstöße vornimmt und der Wirtschaftsakteur mit dieser Meldung nach den Vorschriften des HinSchG umgehen muss. Eine hinweisgebende Person ist dann zur Abgabe einer Meldung oder zur Offenlegung berechtigt, wenn (1) begründete Verdachtsmomente oder Wissen über tatsächliche oder mögliche Verstöße vorliegen, (2) diese Verstöße in einem Zusammenhang zur beruflichen Tätigkeit der meldenden Person stehen und (3) bereits begangen wurden oder sehr wahrscheinlich noch erfolgen werden (vgl. § 3 Abs. 3 HinSchG). Darüber hinaus ist auch der Versuch der Verschleierung von Verstößen vom Anwendungsbereich des HinSchG erfasst.

Bei den gemeldeten Verstößen im produktrechtsbezogenen Umfeld kann es sich sowohl um fehlende Konformität mit materiellen Produktanforderungen als auch um die Verletzung von bloß formellen Informations-, Dokumentations- oder Kennzeichnungspflichten handeln. Konkret kann im Anwendungsbereich der GPSR ein gemeldeter Verstoß z.B. die Nichteinhaltung des allgemeinen Sicherheitsgebots gemäß Art. 5 GPSR zum Gegenstand haben. Danach dürfen die Wirtschaftsakteure nur sichere Produkte in Verkehr bringen oder auf dem Markt bereitstellen.

III. Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle

Ab einer gewissen Größe (in der Regel ab 50 Beschäftigten) hat der Wirtschaftsakteur gem. § 12 Abs. 1 S. 1 HinSchG die Pflicht zur Einrichtung und zum Betrieb mindestens einer Stelle für interne Meldungen, an die sich Beschäftigte wenden können (interne Meldestelle). Die Aufgaben der internen Meldestelle umfassen gemäß § 13 Abs. 1 HinSchG den Betrieb von Meldekanälen (§ 16 HinSchG), die Durchführung des Verfahrens (§ 17 HinSchG) und das Ergreifen von Folgemaßnahmen (§ 18 HinSchG).

Zu diesem Zweck kann der Wirtschaftsakteur entweder eine bei ihm oder bei der jeweiligen Organisationseinheit beschäftigte Person, eine aus mehreren Beschäftigten bestehende Arbeitseinheit oder einen Dritten mit den Aufgaben einer internen Meldestelle betrauen (§ 14 Abs. 1 HinSchG).

Für Konzerngesellschaften besteht somit die Möglichkeit, eine gemeinsame, konzernweite Meldestelle für alle Unternehmen des Konzerns einzurichten. Ferner können mehrere Wirtschaftsakteure, die in der Regel zwischen 50 und 249 Arbeitnehmer beschäftigen, eine gemeinsame interne Meldestelle einrichten und betreiben (§ 14 Abs. 2 HinSchG).

Die Beauftragung eines Dritten mit Einrichtung und Betrieb der internen Meldestelle kann insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen entlasten. Ausdrückliche Erwähnung in der Gesetzesbegründung haben Rechtsanwälte/-innen gefunden, die als Ombudsperson die Aufgaben der internen Meldestelle übernehmen können. Einer der Vorteile in der Beauftragung eines Rechtsanwalts bzw. einer Rechtsanwältin kann darin liegen, dass dieser das Unternehmen und den regulatorischen Kontext, in dem sich das Unternehmen bewegt, kennt und die eingehenden Meldungen frühzeitig einordnen kann. Das Unternehmen kann sich so zügig auf die gegebenenfalls zu ergreifenden Maßnahmen konzentrieren.

Auch mit Blick auf das LkSG zeigen sich Möglichkeiten für Synergieeffekte. Eingehende Hinweise spielen im LkSG ebenfalls eine zentrale Rolle, vgl. § 8 Abs. 1 LkSG. Zum Zwecke der Entgegennahme von Hinweisen hat der Wirtschaftsakteur ein Beschwerdeverfahren zu implementieren (§ 8 Abs. 2, 4 LkSG).

IV. Wahlrecht zwischen interner und externer Meldung

Die hinweisgebende Person hat gemäß § 7 Abs. 1 HinSchG ein Wahlrecht, ob sie sich mit Informationen über einen Verstoß an eine interne oder externe Meldestelle wendet. Zwar soll sie die Meldung an eine interne Meldestelle bevorzugen, wenn intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und sie keine Repressalien zu befürchten hat – eine Verpflichtung stellt § 7 Abs. 1 S. 2 HinSchG damit aber nicht dar. Weil die Meldung an eine externe Meldestelle in der Regel mit Nachteilen für den Wirtschaftsakteur verbunden ist, sollte er somit frühzeitig auf eine offene Fehler- und Feedbackkultur hinwirken und seine Arbeitnehmer zur Nutzung interner Kommunikationskanäle ermutigen. Um proaktiv interne Meldungen zu fördern und Nichtkonformitäten abzustellen, wären z.B. Belohnungsprogramme (vergleichbar mit sog. Bug-Bounty-Programmen) denkbar, mit denen der Wirtschaftsakteur hinweisgebende Personen belohnt.

V. Dokumentationspflichten

Gemäß § 11 Abs. 1 HinSchG hat die in einer Meldestelle für die Entgegennahme von Meldungen zuständige Person alle eingehenden Meldungen in dauerhaft abrufbarer Weise unter Beachtung des Vertraulichkeitsgebots zu dokumentieren. Die Anforderungen an die Dokumentation unterscheiden sich danach, ob die Meldung mündlich oder schriftlich eingegangen ist. Um die Anforderungen an die Dokumentation einzuhalten und das sich an die Meldung anschließende Verfahren möglichst effizient zu gestalten, kann der Einsatz von Dokumentationsmanagementsystemen sinnvoll sein.

So treffen den Hersteller eines Produkts sowohl vor als auch nach dem Inverkehrbringen bestimmte Pflichten, die einen gewissen Grad von Organisation erforderlich machen. Gemäß Art. 9 Abs. 2, 3 GPSR hat der Hersteller z.B. technische Unterlagen zu erstellen und sie für einen Zeitraum von zehn Jahren bereitzuhalten. Nach Art. 9 Abs. 12 GPSR muss der Hersteller die über die öffentlich zugänglichen Kommunikationskanäle entgegengenommenen Informationen in einem internen Verzeichnis dokumentieren. Nach dem Inverkehrbringen eines Produkts treffen den Hersteller sog. Produktbeobachtungspflichten: Der Hersteller muss sich Informationen über sein Produkt beschaffen und auswerten. Der Einsatz von Dokumenten- und Dokumentationsmanagementsystemen ist daher ab einer gewissen Unternehmensgröße erfahrungsgemäß unerlässlich.

VI. Verfahren bei Entgegennahme von Meldungen und Folgemaßnahmen

§ 17 Abs. 1 HinSchG regelt das Verfahren bei internen Meldungen. Hiernach hat die interne Meldestelle den Eingang der Meldung zu bestätigen, die Eröffnung des Anwendungsbereichs des HinSchG und anschließend die Stichhaltigkeit der eingegangenen Meldung zu überprüfen. Dabei hat die Meldestelle mit der hinweisgebenden Person Kontakt zu halten und gegebenenfalls Folgemaßnahmen (§ 18 HinSchG) zu ergreifen. Die zu ergreifenden Folgemaßnahmen nach § 18 HinSchG umfassen insbesondere interne Untersuchungen, den Verweis der hinweisgebenden Person an andere Stellen, die Einstellung des Verfahrens oder die Abgabe des Verfahrens an eine zuständige Organisationseinheit oder an eine zuständige Behörde.

Für den Wirtschaftsakteur kann sich eine enge Verzahnung von produktsicherheitsrechtlichen Abläufen mit den Vorgaben der §§ 17, 18 HinSchG anbieten, insbesondere wenn die Meldungen die Produktsicherheit oder -konformität zum Gegenstand haben. Bei der Beauftragung einer Ombudsperson ist darauf zu achten, die Verfahrensabläufe für den Umgang mit Meldungen im Vorfeld festzulegen. Dabei sind mindestens die gesetzlichen Vorgaben gemäß den §§ 17, 18 HinSchG zu berücksichtigen. Idealerweise sind der im Vorfeld zu erstellende Ablaufplan und die Verfahrensweise möglichst detailliert festgelegt, sodass im Falle einer Meldung die nächsten Schritte schon feststehen. Wenn ein Rechtsanwalt bzw. eine Rechtsanwältin als interne Meldestelle eingebunden ist, kann dieser bzw. diese zum Beispiel die Meldung auf Stichhaltigkeit überprüfen, dem Arbeitgeber entsprechende Rückfragen stellen und Vorschläge für Korrekturmaßnahmen machen.

Naheliegend ist schließlich auch eine digitale Abbildung des Verfahrens, um die Einhaltung der Vorgaben gemäß den §§ 17, 18 HinSchG zu gewährleisten. So lässt sich der Workflow nahtlos und mit wenig Aufwand in bereits bestehende Prozesse im Unternehmen integrieren. In diesem Zusammenhang bieten sich vor allem Lösungen an, mit denen sich standardisierbare Entscheidungsprozesse digitalisieren lassen.

In Abhängigkeit von den Ergebnissen der Untersuchungen treffen den Wirtschaftsakteur die entsprechenden produktsicherheits- und produkthaftungsrechtlichen Pflichten, um etwaige Nichtkonformitäten zu abzustellen und Produktrisiken mittels geeigneter Feldmaßnahmen abzuwehren.

VIII. Fazit

Sofern noch nicht geschehen, sollten sich die Wirtschaftsakteure zeitnah mit den Pflichten des HinSchG vertraut machen und insbesondere der Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle nachkommen. Private Arbeitgeber mit in der Regel 50 bis 249 Beschäftigten haben hierfür noch bis zum 17.12.2023 Zeit (vgl. § 42 Abs. 1 HinSchG). Andernfalls drohen bei Verletzung von bestimmten Pflichten bereits ab dem 01.12.2023 Bußgelder in Höhe von bis zu EUR 50.000 (vgl. §§ 42 Abs. 2, 40 HinSchG).

Für die Wirtschaftsakteure kann sich ein Abgleich mit anderen produktbezogenen Pflichten durchaus lohnen. So können Schnittmengen zwischen den unterschiedlichen Anforderungen aufgedeckt und bei deren Umsetzung Synergieeffekte fruchtbar gemacht werden.

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