Verbandsklage

Update zur Verbandsklage

Am 17.05.2023 wurden als Bundestags-Drucksache 20/6878 die Stellungnahme des Bundesrates zum VRUG und die Gegenäußerung der Bundesregierung hierzu veröffentlicht.

In unserem ersten Blog-Beitrag zu diesem Thema („Für Unternehmen wird es ernst: neue Sammelklage in Deutschland„) haben wir die wichtigsten Eckpunkte des Entwurfs der der Bundesregierung vorgestellt. Nachstehend fassen wir die wichtigsten Vorschläge des Bundesrates und die Reaktion der Bundesregierung darauf zusammen.

A. Vorschläge zum Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG)

Der Bundesrat schlägt vor, dass für Verbandsklagen (d.h. sowohl für Musterfeststellungsklagen als auch für die neu einzuführenden Abhilfeklagen) auf das Verfahren vor den erstinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichten die im ersten Rechtszug für Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind. Die Bundesregierung stimmt diesem Vorschlag zu. Die – zumindest klarstellende – Regelung erscheint sachgerecht, da das Oberlandesgericht hier in erster Instanz tätig wird und daher als volle Tatsacheninstanz (und nicht als Berufungsinstanz mit der grundsätzlichen Beschränkung auf die Korrektur von Rechtsfehlern) agiert.

Ein weiterer Vorschlag des Bundesrats könnte zu einer spürbaren Erweiterung des Anwendungsbereichs der neuen Verbandsklage führen. Bisher ist eine Verbandsklage nur zulässig, wenn die eingeklagten Ansprüche gleichartig sind, § 15 VDuG. Dies setzt voraus, dass die Ansprüche auf demselben Sachverhalt (oder einer Reihe vergleichbarer Sachverhalte) beruhen und die gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Dies möchte der Bundesrat zum einen dadurch ausweiten, dass es sich nur noch um „im Wesentlichen“ gleiche Tatsachen- und Rechtsfragen handeln soll. Zum anderen sollen individuelle Einwendungen und Einreden – insbesondere die Verjährungseinrede – nach dem Wunsch des Bundesrates einer solchen Gleichartigkeit nicht entgegenstehen. Dies würde ohne die angeregte Klarstellung gerade für die Verjährungseinrede nicht so fern liegen, da es hier oft auf die individuelle Kenntnis oder Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den einzelnen Gläubiger ankommt. Die Bundesregierung möchte diese Anregung im weiteren Gesetzgebungsverfahren prüfen.

Der Bundesrat möchte zudem den Anwendungsbereich der im Gesetzesentwurf vorgesehenen Zwangsmittel gegen den Unternehmer erweitern, wenn dieser auf eine entsprechende Aufforderung des Sachwalters hin Ansprüche eines Verbrauchers jenseits einer Zahlung nicht erfüllt. Bisher können nur vertretbare Handlungen des Unternehmers mit den Zwangsmitteln des Zwangsgelds bzw. hilfsweise der Zwangshaft durchgesetzt werden. Der Bundesrat möchte dieses Mittel auch auf unvertretbare Handlungen ausdehnen. Da die Bundesregierung diesem Vorschlag zugestimmt hat, ist wahrscheinlich, dass die erweiterte Zwangsmittelmöglichkeit auch im endgültigen Gesetz stehen wird.

Ferner bittet der Bundesrat, die bisher im Entwurf vorgesehene Frist für Einwendungen des Unternehmers gegen die Schlussrechnung von zwei Wochen zu verlängern. Die Bundesregierung wird diesen Vorschlag prüfen. Da die Frist für den Unternehmer, gerade wenn in einer Verbandsklage hunderte oder sogar tausende einzelne Ansprüche gebündelt werden, sehr kurz erscheint und gleichzeitig die Rechtsfolge einer Versäumung dieser Frist – die Fiktion der Schlussrechnung als anerkannt – einschneidend ist, ist dieser Vorschlag des Bundesrats sicher sachgerecht.

Ferner möchte der Bundesrat, dass der Zeitpunkt, bis zu dem Verbraucher ihre Ansprüche in dem Verbandsklageverfahren anmelden können, deutlich nach hinten verlagert wird. Der aktuelle Entwurf sieht hier bisher vor, dass die Anmeldung von Ansprüchen bis zu zwei Monate nach der ersten mündlichen Verhandlung erfolgen kann. Der Bundesrat möchte jedoch, dass die Anmeldung von Ansprüchen durch Verbraucher noch bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung erfolgen kann. Hier geht es dem Bundesrat ausdrücklich um eine Entlastung der Justiz. Er hofft hier auf einen Bündelungseffekt einer solchen Verbandsklage, die für die Verbraucher auch dadurch attraktiver würde, weil sie ihre Entscheidung einer Anmeldung später und damit auf einer tragfähigeren Informationsgrundlage treffen könnten. Die Bundesregierung sieht an dieser Stelle keinen Anpassungsbedarf. Denn erst durch die Anmeldung erfahren das Gericht und die Parteien, welche Einzelansprüche (und damit auch welches Gesamtvolumen) der konkreten Verbandsklage zugrunde liegen.

B. Weitere Änderungsvorschläge

Ferner spricht sich der Bundesrat für eine erweiterte Möglichkeit der Aussetzung von individuellen Klagen vor dem Hintergrund einer laufenden Verbandsklage aus. Auch diesem Vorschlag will die Bundesregierung nicht folgen; sie will ausdrücklich jedem Verbraucher die Wahl zwischen kollektivem Rechtsschutz in Form einer Verbandsklage oder individuellem Rechtsschutz lassen. Dies ist zu begrüßen.

Schließlich hat der Bundesrat vorgeschlagen, dass schon die schlichte Erhebung einer Verbandsklage an sich die Verjährung aller mit dieser Klage berührten Ansprüche herbeiführen soll. Sicherlich zu Recht hat die Bundesregierung diesen weitreichenden Vorschlag abgelehnt. Es ist allein sachgerecht, dass erst ein Opt-in des jeweiligen Verbrauchers in die Sammelklage zu einer Hemmung der Verjährung seiner Ansprüche führt. Nur so wird sein Individualanspruch auch zum Gegenstand der Verbandsklage.

C. Fazit

Der Bundesrat hat an etlichen Stellen erhebliche Änderungen der Reichweite einer Verbandsklage und der damit verbundenen Vorteile der Verbraucher vorgeschlagen. Die Bundesregierung hat nur einen Teil dieser Änderungen aufgegriffen, allzu weitgehenden Wünschen jedoch eine Absage erteilt.

BT-Drs. 20/6878 ist HIER abrufbar.

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Für Unternehmen wird es ernst: Neue Sammelklage in Deutschland

Auch das Prozessrecht entwickelt sich – getrieben durch das Europarecht – dynamisch. Um eine leichtere Durchsetzung von Verbraucheransprüchen zu ermöglichen, werden die Möglichkeiten für Sammelklagen deutlich ausgeweitet. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass die Prozesslandschaft „amerikanischer“ wird.

Das Bundesjustizministerium hat nunmehr den Referentenentwurf des Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (VRUG) veröffentlicht. Damit soll die europäische Verbandsklagerichtlinie (Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG) in deutsches Recht umgesetzt werden. Da dies eigentlich bereits bis zum 25.12.2022 hätte geschehen müssen, ist die Bundesrepublik Deutschland mit diesem Vorhaben schon in „Verzug“.

A. Abhilfeklage

Kern des VRUG ist das neue Gesetz zur gebündelten Durchsetzung von Verbraucherrechten (Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz, kurz VDuG). Dort werden künftig Verbandsklagen geregelt, einschließlich der völlig neuen Abhilfeklage, mit der erstmals kollektive Klagen auf Leistung ermöglicht werden. Das bedeutet, dass die in der Sammelklage gebündelten Ansprüche künftig in einem einzigen Verfahren durchgesetzt werden könnten; die bisher noch erforderlichen individuellen Klagen nach einem Musterfeststellungsverfahren würden dadurch entfallen.

Klageberechtigt sind entsprechend qualifizierte Verbraucherverbände und qualifizierte Einrichtungen aus anderen EU-Staaten. Sie können gleichartige Ansprüche einer Vielzahl von Verbrauchern (erforderlich ist die Betroffenheit von mindestens 50 Verbrauchern) gegen Unternehmer geltend gemacht werden, wobei auch kleine Unternehmen (mit weniger als 50 Beschäftigten und nicht mehr als EUR 10 Mio. Jahresumsatz) zum Kreis der Gläubiger gehören können. Gegenstand einer Verbandsklage können alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sein, so dass die Reichweite des deutschen Gesetzes über den reinen, europarechtlich im Fokus stehenden Verbraucherschutz deutlich hinausgeht. Das VDuG enthält auch die Pflicht der klageberechtigten Stelle, auf ihrer Homepage Informationen zu geplanten und laufenden Verbandsklagen zu veröffentlichen. Dies wird absehbar zu einer größeren Breitenwirkung einer solchen Klage und damit zu einer noch effektiveren Bündelung von Ansprüchen führen.

Zuständig für Verbandsklagen sind in erster Instanz die Oberlandesgerichte, so dass es hier mit dem BGH nur zwei Instanzen geben wird.

Eine wesentliche Neuerung ist, dass mit der Abhilfeklage direkt auf Leistung an die betroffenen Verbraucher geklagt werden kann. Insbesondere soll die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags beantragt werden können. Insoweit handelt es sich daher um eine „echte“ Sammelklage, die unmittelbar zur Durchsetzung von Ansprüchen der teilnehmenden Verbraucher führen wird.

Erwähnenswert ist für das konkrete Verfahren auch, dass die Offenlegung von Beweismitteln (insbesondere die Vorlage von Urkunden) künftig vom Gericht durchgesetzt werden kann. Hier können künftig bei Missachtung einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung Ordnungsgelder von bis zu EUR 250.000 verhängt werden, ggf. auch mehrfach. Ein solcher Zwang in einem zivilrechtlichen Verfahren (das eigentlich dem Beibringungsgrundsatz unterliegt) bestand bislang nicht und macht die Abhilfeklage aus Sicht des beklagten Unternehmens noch einmal „gefährlicher“.

Verbraucher können ihre Ansprüche bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins zur Eintragung in das Verbandsklageregister anmelden (opt in-Modell). Damit werden beklagte Unternehmen zumindest nach diesem Zeitpunkt Gewissheit über die Zahl der gebündelten Ansprüche haben.

Im Verfahren soll (wenn vorher kein Vergleich geschlossen wird) ein sogenanntes Abhilfegrundurteil ergehen. Dieses soll, wenn die Klage erfolgreich ist, bereits die Beträge festsetzen, die den berechtigten Verbrauchern zustehen. Danach fordert das Gericht die Parteien auf, einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Kommt es nicht zu einer Einigung, so ergeht sodann ein Abhilfeendurteil. Dieses kann insbesondere die Verurteilung des beklagten Unternehmers zur Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags zu Händen eines – vom Gericht zu bestellenden – Sachwalters zum Inhalt haben. Der Sachwalter hat die Aufgabe, den vom Unternehmen ggf. bezahlten kollektiven Gesamtbetrag zu verwalten und an die berechtigten Verbraucher auszuzahlen.

B. Musterfeststellungsklage

Die bereits existierende Musterfeststellungsklage bleibt erhalten und wird in das VDuG integriert. Im VDuG werden somit künftig sämtliche Verbandsklagen geregelt sein.

C. Ausgewählte weitere Änderungen

Die Neuregelung der Verbandsklagen erfordert zahlreiche Folgeänderungen in anderen Gesetzen, die im VRUG gebündelt werden.

Insbesondere soll im BGB ein neuer § 204a eingefügt werden. Dieser regelt den Umfang der Verjährungshemmung einer Verbandsklage.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass in Zukunft im Rahmen von § 10 UWG eine wettbewerbsrechtliche Gewinnabschöpfung nicht nur bei Vorsatz, sondern bereits bei grober Fahrlässigkeit möglich sein wird.

Fazit

Mit der Abhilfeklage wird in Deutschland erstmals eine „echte“ Sammelklage eingeführt, die in einem einzigen Verfahren zur Verurteilung des beklagten Unternehmens auf Leistung und zur direkten Befriedigung von Verbraucheransprüchen führt. Flankiert durch Online-Informationspflichten und faktischen Offenlegungspflichten bezüglich Beweismitteln dürfte es sich um ein aus Klägersicht attraktives Instrument zur kollektiven Durchsetzung solcher Ansprüche handeln. Unternehmen müssen sich in Zukunft darauf einrichten, bei Pflichtverletzungen in großem Umfang nicht nur mit relativ wenigen Individualklagen sondern zusätzlich mit Sammelklagen konfrontiert zu werden, in denen zahlreiche Ansprüche gebündelt werden. Aus Unternehmenssicht wird es daher wichtiger denn je sein, ihre produktrechtlichen und sonstigen Compliance-Prozesse zu optimieren und das geltende Recht einzuhalten, um nicht zum Ziel solcher Sammelklagen zu werden.

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27. Februar 2023 Dr. Florian Niermeier